»Bücher ohne Romance« lese ich neuerdings viel in Social Media und jedes Mal kratze ich dabei an der Wand oder möchte wahlweise mit irgendwas werfen. Je nach Tagesform eben.
Warum?
Weil »Bücher ohne Romance« schlicht und ergreifend keine Romance sind und Formulierungen wie diese wahlweise eine Diskreditierung eines kompletten Genres sind oder das Zeichen kompletter Unkenntnis. Nervt, besonders dann, wenn ich solche Formulierungen selbst von Romance-Autorinnen lesen muss. Da frage ich mich halt schon, ob die sich überhaupt mit dem auseinandersetzen, was sie da tun. Know your shit! Du fährst doch auch nicht Auto, ohne die Verkehrsregeln zu kennen, oder?
Romance ist ein Genre. Es ist ungefähr fünfzig Jahre alt, hat seine Wurzeln unter anderem in den Heftromanen und stammt aus den USA. Berühmte Vertreterinnen (generisches Femininum, da die Mehrheit der Autorinnen tatsächlich weiblich ist und männliche Kollegen oftmals zu weiblichen Pseudonymen greifen (müssen), um gelesen zu werden) wären: Johanna Lindsey, Nora Roberts, Kresley Cole, Julia Quinn, Lisa Kleypas, Sherrilyn Kenyon, Julie Garwood und viele, viele mehr.
Um genau zu sein, kann man Romance auch als eigenständige Gattung begreifen. Romance gehört zur sog. Strukturliteratur und hat – wie für Gattungen typisch – eindeutige Merkmale:
1. Das Happy End
Im Gegensatz zum Liebesroman ist die positive Schlussnote der Liebeshandlung das wirklich wichtigste Merkmal der Romance. Das kann ein »happily ever after« oder ein »happy for now« sein, aber Fakt ist: Am Ende kriegen sie sich. Immer. Tun sie es nicht, ist es ein Liebesroman oder Drama oder irgendwas. Aber eben keine Romance. Es spielt übrigens keine Rolle, an welcher Stelle das Happy End auftaucht. Es muss nicht erst auf den letzten Seiten kommen. Dies wird maßgeblich von der Nebenhandlung beeinflusst.
2. Eine Liebeshandlung und eine Nebenhandlung
Mit einer Liebesgeschichte allein kann man nur selten einen kompletten Roman gestalten. Daher wird man in jeder Romance eine Nebenhandlung finden. Aber wer jetzt denkt, dass diese nur untergeordnet stattfindet, täuscht sich; wie ausgeprägt diese Handlung ist, kann stark variieren. Beide Handlungen haben zudem immer auch einen Konflikt und nicht selten bedingen und beeinflussen diese Handlungen sich gegenseitig.
Beispiel: Der Vampir, der dem Antagonisten nachsetzt, wird verwundet und von der FMC gefunden und gerettet. Hier löst die Nebenhandlung die Liebesgeschichte aus und die Liebenden lösen dann vielleicht sogar gemeinsam den Konflikt der Nebenhandlung. Oder die Rachsucht des MMC führt zu einem Konflikt in der Liebeshandlung, weil er Dinge tut, die sie ihm nicht verzeihen kann … Es gibt unzählige Möglichkeiten, wie solche Handlungsstränge miteinander verknüpft werden können.
3. Stereotype in den Charakteren
»Damsel in Distress« und »Alpha Male« (ehemals »The Warrior«) schon mal gehört? Jep. Genau das ist hier gemeint. Also, nicht nur diese beiden Typen, sondern das Grundprinzip. Eine gewisse Stereotypie kann man in den Main Characters einer Romance wiedererkennen. Der Bücherwurm, der eher introvertiert und von Menschen schnell überfordert ist; Mr. Grumpy, der Typ mit der chronisch schlechten Laune; Sunshine, die in allem irgendwie immer das Gute sehen möchte. Der Abenteurer, der Lebemann, der Nerd. Das Mauerblümchen, das gern in der Regency Romance anzutreffen ist, aber oftmals auch in der Contemporary. Die Liste ist lang und niemand hat gesagt, dass die nicht auch fröhlich miteinander vermischt werden können. Schon mal über einen Alpha Nerd nachgedacht? Just asking.
4. Spice
Jep. Genau das, was ihr jetzt denkt. Erotik ist in fast allen Subgenres der Romance ein zwingender Faktor. Ausnahmen: Cozy/Wholesome und Christian Romance. Es liegt in der Natur der Sache, dass Erotik in diesen beiden Subgenres keine Rolle zu spielen hat. Auch die »Young Adult Romance«, die man missverständlicherweise nur noch YA nennt und vollkommen ignoriert, dass das auch für Jugendliteratur stehen kann, hat ein schwieriges Verhältnis zur Erotik. Logisch, die MCs sind noch sehr, sehr jung. Wenn hier Erotik auftaucht, sind es daher »closed door«-Szenen. Es wird angedeutet, dann jedoch ausgeblendet. (Ja, ich weiß, dass nicht jede Autorin sich daran hält und tatsächlich sehe ich das auch kritisch. Bei sechzehnjährigen MCs sollte das Spice-Level sich in einem angemessenen Maß bewegen.)
Spice kann ansonsten alles sein. Closed door, open door … Wie explizit es formuliert wird und wie viel davon enthalten ist, ist etwas, das die Autorin entscheidet. Wer Smut – also Romance mit einem extrem hohen Erotik-Gehalt und einer nicht selten sehr vernachlässigten sonstigen Handlung – schreiben möchte, kann das in jedem Subgenre gern tun. Ist aber hilfreich, es dann als smut zu kennzeichnen.
5. Tropes
»Enemies to lovers«, »beauty and the beast«, »ugly duckling«, »forced proximity«, »fake boyfriend/marriage« … Die Liste der möglichen Tropes ist inzwischen so lang, dass es quasi unmöglich ist, sie vollständig aufzuführen. Sie verändert sich auch, wie die Romance selbst sich verändert. Tropes sind zentrale Motive einer Romance und bestimmen nicht selten auch deren Subgenre. Schon mal von »Billionaire«, »Shifter« oder »Sports Romance« gehört? Hier wird ein zentraler Trope zum Namensgeber des gesamten Subgenres.
Leserinnen neigen dazu, ihre Lieblingstropes zu haben und gezielt nach Büchern damit zu suchen. Daher ist es wichtig, diese tropes in Klappentext, Metadaten oder anderen Stellen zu vermerken bzw. anklingen zu lassen, damit das Buch besser zwischen den vielen anderen Romances gefunden werden kann.
6. Die Cover
Willkommen in der Welt der »Dudes who lost their shirts«! Wobei das sich ein wenig überholt hat und nur noch in einigen Bereichen der Romance der Standard ist. Warum haben die jetzt aber ihr Hemd eingebüßt? Romance-Cover sind (waren) sog. sprechende Cover. Der Typ hat kein Hemd an? Oh, da wird ne Menge Spice drin sein. Daumenregel: Je nackter das Cover, desto höher der Spice-Anteil. Blöd ist halt, wenn Verlage und Autoren sich dessen nicht bewusst sind und den nackten Oberkörper auch auf closed door klatschen. Führt schnell zu mittelprächtiger Enttäuschung.
Du siehst einen Wolf auf dem Cover? Oder einen Football? Dann hast du eine Shifter Romance mit heißem Werwolf oder eine Quarterback Romance in der Hand.
Aber die Cover der aktuell gehypten Bücher sehen gar nicht mehr so aus!
Jep. Vollkommen richtig. Liegt einerseits an einer gewissen Müdigkeitserscheinung (irgendwann hat man einfach jedes Eight-Pack schon mal gesehen), andererseits aber auch an den Shops, die ziemlich prüde Vorgaben für die Produktgestaltung haben. Kein Mensch möchte sein Buch geflagged bekommen und es somit quasi nicht mehr verkaufen können, weil das große A die Sichtbarkeit unterbunden hat. (Ist mir selbst schon mal passiert bei einem Cover, ist ziemlich doof.) Deswegen sieht man neuerdings viel gezeichnete Cover. Der Trend bewegt sich weg von Menschen auf Covern und generell hin zu grafischen Gestaltungen. Die Cover-Gestaltung der Romance befindet sich somit gerade im Umbruch. Nach über vierzig Jahren und viel zu oft Fabio auf dem Buchdeckel keine schlechte Idee, wenn ich ehrlich sein soll. Eine Daumenregel aber bleibt: Je düsterer der Einband, desto darker der Inhalt.
7. Die Subgenres
Die Romance gibt es nicht. Aber dafür Office Romance, Vampire Romance, Fantasy Romance, Romantasy … wait! What?
Okay, von vorne: Romance ist es, weil die Liebesgeschichte den Strukturen der Romance entspricht. Die Nebenhandlung (oder auch trope) definiert dann das Subgenre, in dem das Buch tatsächlich spielt. Vom Prinzip kann man sagen, dass die Romance auf jedes normale Genre aufsatteln kann. Du hast eine Romance mit einem Krimi in der Nebenhandlung? Romantic Crime it is! Du hast eine Romance mit einer Urban oder Paranormal Nebenhandlung? Paranormal Romance (unterteilbar in Shifter, Vampire, Demons …). Du schreibst im Mafia oder Biker Setting? Mafia oder Biker Romance usw. usf. Für noch mehr Verwirrung hier der Link zur Book Industrie Study Group, auch bekannt als: BISAC.
Und Romantasy? Tja … Wie unterscheidet man Fantasy Romance von Romantasy? Denn inzwischen ist diese Trennung wichtig geworden. So trennscharf wird man es zwar nicht hinbekommen, aber ich habe mir angewöhnt, es so zu definieren: Romantasy ist es, wenn man die Liebesgeschichte aus dem Roman herausnehmen könnte und es immer noch Sinn ergibt. Wenn die Nebenhandlung ohne die Liebeshandlung nicht mehr funktioniert, ist es Fantasy Romance. Ist nur grob und bei vielen Büchern haut das auch nicht hin, aber ich hoffe, der Kern wird dabei deutlich.
Und was ist jetzt mit diesem Dark, von dem immer alle reden?
Tja, das arme gebeutelte Wörtchen dark. Es tut mir wirklich in der Seele weh zu lesen, mit welcher Unkenntnis selbst Autorinnen damit verfahren. Aua! Lasst das!
Dark bedeutet eigentlich nur eines: Hier haben wir es nicht mit einem klassischen Helden (wahlweise Heldin) als Love Interest zu tun. Hier ist der Villain der Held. Es gibt auch keine Charakterentwicklung vom Saulus zum Paulus. Du lernst den Auftragskiller kennen? Baby, der wird am Ende immer noch Auftragskiller sein und nicht deinen Gartenzaun weiß antünchen. Dieser Typ wird auch mit moralisch fragwürdigen Verhaltensweisen glänzen. Deswegen sind typisches Tropes in der Dark (…) Romance auch Blackmailing, Stalking oder Forced Yes.
Nein, Dark bedeutet nicht automatisch Academia oder YA. Dark kann man vor jedes beliebige Subgenre klatschen, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Dark Mafia Romance? Sure. Dark Fantasy Romance? Jep. Dark Vampire … Sorry, ich schnurre gerade dezent.
Dark Academia bzw. Dark YA/NA trendet zwar gerade, aber dark ist eben mehr als das.
Der deutschsprachige Raum glänzt aktuell mit einem absoluten Unverständnis dessen, was Romance ist und eigentlich will. Und immer mehr muss ich lesen, mit wie wenig Ahnung, dafür jedoch einer Menge Meinung auf diesem Genre herumgetrampelt wird.
Nein, Romance ist kein Baustein eines Buches. Nein, Romantasy ist auch nicht nur Enemies to Lovers, lieber SWR. Und Romance ist auch nicht nur Erotik, liebes Frühstücksfernsehen.
Know. Your. Shit. Gilt für die Medien, aber auch Verlage und Autorinnen.
Ihr habt Fragen? Ich bin mir sicher, die Romance Writers of America helfen euch da gerne weiter.