Autoren müssen gesehen werden. Sie sollen auf Social Media präsent sein. Sie sollen ihre Bücher mit immer neuen Verpackungsfeatures ausstatten – Farbschnitte, Glitzer, Prägung, Duftsticker. Autoren sollen Charakterkarten für ihre Bücher anfertigen und möglichst gratis ihren Büchern beilegen. Sie sollen Merch verkaufen.
Ihre eBooks sollen in KU enthalten sein und nicht mehr als 5€ kosten. Ihre Softcover mit besagter Ausstattung dürfen den Sweet Spot von 18,99€ nicht überschreiten.
Sie dürfen keine KI verwenden.
Also sitzen sie da, wühlen diverse Stunden in Bild- und Video-Stocks, um etwas Passendes zu finden. Für einen Teaser auf Social Media, der oftmals von kaum mehr als 300 Personen gesehen wird. Sie nehmen in Kauf, manchmal nur 0,30€ pro verkauftem Taschenbuch zu verdienen, damit das Taschenbuch überhaupt gekauft wird.
Sie bezahlen Künstler, um Charakterkarten anzufertigen, die im schlimmsten Fall von anderen dann nicht gekauft, sondern deren Bild genommen und selbst gedruckt wird.
Autoren leben damit, dass jeder Halbgeviertstrich, jedes Trikolon und jede Formulierung sie angreifbar macht, denn ein jeder kann sich einfach hinstellen und behaupten, »das ist KI«. Es gibt sogar Tools im Netz, um das zu »überprüfen«.
Es ist dabei auch irrelevant, dass das Füttern dieser Tools mit Auszügen aus Büchern bereits eine Urheberrechtsverletzung darstellt.
Du schreibst mehr als 2k Wörter am Tag? Das kann ein Autor nur mit KI.
Du hast Fehler in deinem Buch? Du bist ein schlechter Selfpublisher.
Du hast keine Fehler in deinem Buch? Dann hast du KI genutzt.
KI stiehlt. KI nimmt Arbeitsplätze.
Ist euch eigentlich bewusst, wie viel Druck ihr mit dieser unreflektierten Aussage aufbaut? Bei jeder Veröffentlichung habe ich Angst, dass irgendjemand sich hinstellt und einfach behauptet: »Cover/Text ist vermutlich KI.« Denn diese Aussagen werden – im Gegensatz zu unserer Arbeit – nicht kritisch betrachtet. Der Vorwurf steht im Raum und er setzt sich fest.
Wisst ihr, von wem die KI Dinge wie Halbgeviertstriche, Trikolon und Formulierungen wie »in der Ferne bellt ein Hund« gelernt hat?
Von uns. Denn es sind unsere Bücher, anhand derer sie gelernt hat, all diese Dinge zu nutzen.
Aber wehren wir uns gegen diesen Vorwurf, gilt die Schuld als erwiesen, und ich muss dabei ständig an die Hexenprobe früherer Zeiten denken: »Fesselt sie und werft sie ins Wasser. Ertrinkt sie, ist sie keine Hexe. Schwimmt sie, flechten wir sie aufs Rad.«
Das Ergebnis ist in beiden Fällen gleich: Der Autor … äh … die Hexe ist am Ende tot.
Wenn wir keine passenden Bilder für unsere Reels haben, werden wir dafür angegangen, dass es nicht zum Inhalt des Buches passt. Diese Bilder mit KI zu erstellen, liegt nahe, denn wir können die Kosten für andernfalls nötige Designer nicht auf die Leserschaft umlegen, denn die ist nicht gewillt, mehr zu bezahlen, und diverse Menschen haben die Angewohnheit, unsere Produkte (denn Bücher sind exakt das) auf einschlägigen Plattformen gratis anzubieten. Wir bezahlen daher Unternehmen, die sich darum kümmern, dass diese Raubkopien wieder verschwinden, nur damit sie im darauffolgenden Monat wieder dort auftauchen. Wir müssen hilflos zusehen, wie auf Social Media fröhlich Anleitungen geteilt werden, wie man umsonst an unsere Bücher gelangt.
Jeden Tag lese ich auf Social Media die Posts der Selbstgerechten: »Ich meide Autoren, die KI verwenden.« Gefolgt von Autoren Blaming.
Ja, aber Bücher, deren Teaser nicht bebildert und/oder animiert sind, werden nicht wahrgenommen. Bücher, die zu teuer sind, werden nicht gekauft. Bücher, die nicht die aktuell so begehrte Sonderausstattung haben, werden nicht gekauft.
Fühlt ihr den Druck jetzt auch? Wir Autoren (und auch Verlage) stehen mit dem Rücken zur Wand.
Nicht jede KI stiehlt. Nicht jede Nutzung von KI kostet Arbeitsplätze. Aber sagt man das, wird man öffentlich gegrillt. Denn natürlich besteht auch hier der Druck, dass Autoren die korrekte Meinung zu haben haben.
Also schweigen Autoren und Verlage, ziehen den Kopf ein, um nicht gecancelt zu werden, denn am Ende wollen wir ja verkaufen.
Heute sah ich einen Post auf Threads. Ein Screenshot aus Netgalley. Dort ist es jetzt möglich, Bücher mit »Abbruch« zu vermerken und als Grund »probably AI« anzugeben. Tbh, die wenigsten Menschen sind in der Lage, KI-generierte belletristische Texte von geschriebenen belletristischen Texten zu unterscheiden. Ihnen fehlt die nötige Expertise. Selbst mir, die ich besagte Expertise habe, fällt das schwer. Dennoch werden sie ermächtigt, mit solchen Funktionen Menschen in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben, denn ein einziges »probably AI« ist vollkommen ausreichend, dass andere kommen werden und dieses Buch genau deswegen nicht kaufen oder auf den Zug aufspringen und diese unbelegte und nicht überprüfbare Aussage unterstützen und reproduzieren. Einfach nur aufgrund eines Klicks im System oder eines Posts auf Social Media.
Das ist wie mit dem Finger auf einen Menschen zu zeigen und »Hexe« zu rufen. Man muss das nicht begründen, man tut es einfach und wartet, dass andere mitmachen. Diese anderen werden kommen und die so bezichtigte Person kann sich nicht wehren. Der Schaden dabei ist nicht abzusehen.
KI kann tolle Sachen. Sie kann Figuren zum Leben erwecken, Bilder animieren und eine weibliche Stimme in eine männliche verwandeln. Und das alles ohne jemanden zu bestehlen oder Arbeitsplätze zu kosten. Sie kann uns auch helfen, jene Kosten im Rahmen zu halten, die wir eben nicht an jene Kunden weitergeben können, die Dinge zwar verlangen, jedoch nicht bezahlen wollen.
Und in puncto Stromverbrauch (der ja auch gern als Argument gegen KI genannt wird): Habt ihr mal überlegt, wie hoch der Stromverbrauch ist, wenn ich eine zweistellige Stundenzahl an einem High End PC damit verbringe, Bild- und Video-Stocks (auf absurd großen Servern, denn diese Dateien sind riesig) zu durchforsten? Ich ahne, dass das auf ein Nullsummen-Spiel hinauslaufen wird.
Aber ja, die KI kann auch anders. Denn die KI ist nichts weiter als ein Werkzeug. Verteufelt nicht das Werkzeug, verteufelt jene, die sie missbräuchlich nutzen. Hört auf, uns in die Schuldumkehr zu zwingen, und fangt endlich an, reflektiert über KI und ihren Einsatz nachzudenken. Diese Welt besteht aus mehr als nur Schwarz und Weiß.
Vor ein paar Tagen las ich auf Social Media die reddit-Story eines studierenden Wesens aus den USA. Besagter Mensch hat auf unschöne (raubkopierte) Weise ein Buch gelesen, es abgebrochen und dazu eine Rezension verfasst. Darin benannte dieser Mensch als Grund für den Abbruch: »probably AI«, aufgrund von gewissen Formulierungen, die im Buch auftauchten.
Die Autorin hat diesen Menschen nun verklagt (ich vermute mal auf Schadensersatz und wegen Rufmords/falscher Verdächtigung) und dieser Mensch steht nun da, studierend, mit sehr wenig Geld, und hat Angst.
Ja, liebes studierendes Wesen, jetzt weißt du, wie sich das anfühlt, was wir Autoren jeden Tag aushalten müssen. Wir leben jeden Tag mit der Angst davor, dass jemand wie du kommt, mit dem Finger auf uns zeigt und »Hexe« ruft.
Nachtrag
Ich habe mir jetzt mal den Spaß gegönnt, den zuvor geschriebenen Text in eines dieser KI Analyse Tools zu geben. Turns out: 92% davon sehen aus, als könnten sie von KI verfasst worden sein.
Warum? Die Antwort ist simpel: Ich schreibe seit 30 Jahren, ich bin Germanistin, ich habe auch phasenweise als Lektorin gearbeitet. Mein Text ist sehr rund – zu rund für einen Laien, denn ich bin einer der Menschen, dessen Texte (unfreiwillig, denn zugestimmt habe ich definitiv nicht) genutzt werden, um KI zu trainieren.
Aber all diese Gründe spielen keine Rolle mehr, wenn ein Laie – aufgestachelt durch Social Media – mit dem Text eines Schriftstellers das Gleiche macht und dann nicht erfassen kann, warum dieses Tool dann solche Zahlen ausspuckt. Er sieht nur: »zu 92% KI« – in anderen Worten: »Hexe!«
Nicht die KI schreibt unsere Texte, wir haben der KI beigebracht, so zu schreiben.