In Germany we don’t say »Merry Christmas«. We say »Wenn’s dir nicht gefällt, kannst du es ja umtauschen. Ich hab den Kassenbon noch.« And I think that’s beautiful.
In Germany we don’t say »I love you«. We say »Natürlich helfe ich dir bei deinem Umzug am Sonntag. Obwohl wir beide über dreißig sind und es Unternehmen dafür gibt.« And I think that’s beautiful.
In Germany we dont’t say »Will you merry me?«. We say »Dann wird es mit der Steuer leichter und mit den Kindern bei der Einschulung und auf Elternabenden und wenn wir mal alt sind.« And I think that’s beautiful.
Seien Sie ehrlich, auch Sie haben diese und ähnliche Tweets schon gesehen und dabei geschmunzelt. Weil es stimmt. Weil das so sehr die deutsche Seele wiedergibt, als würde man uns einen Spiegel vorhalten. Das sind wir. Nüchtern. Rational. Stets darauf bedacht, das Für und Wider einer Sache abzuwägen. Alles zu analysieren. Die Dinge akkurat zu beschreiben.
Diese Einstellung zieht sich wie ein roter Faden durch alles, was wir tun. Auch Bücher schreiben. Wenn ich in Autoren-Gruppen und -Foren schaue, wird genau das auch auffällig. Es wird eine Frage gestellt und meist endet es damit, dass irgendwann nach Lektor/Korrektor gefragt wird oder dass ein »wohlmeinender« Kollege kommt und einen auf »Schwächen« in der Handhabung der deutschen Sprache hinweist und Gegenvorschläge liefert. Dass der Fragende diese Art der Hilfestellung nicht gesucht hat und das Thema eigentlich ein anderes war, spielt dabei irgendwie keine Rolle mehr.
Man verliert sich in Details. Ist Wort X wirklich korrekt an dieser Stelle? Hätte es nicht besser Wort Y sein sollen? Und sollte man wirklich diese Zeitform nehmen? Oder wäre es nicht angemessener … Die Liste der Vorschläge und wohlmeinenden Korrekturen fernab der eigentlichen Frage ist endlos.
Neulich zappte ich durchs deutsche Fernsehen (passiert ca. zweimal im Jahr bei mir) und blieb an etwas hängen, das ich sonst nie gucke. Irgendein Start-up-TV-Format (ich weiß wirklich nicht mehr, wie es hieß) und Joko war mit dabei. Für mich beides völlig unspektakulär und wäre nicht ein einziger Satz gefallen, ich hätte weitergezappt. »… und dann hab’ ich mich gemault.«
In diesem Moment liebte ich Joachim Winterscheidt für etwas, bei dem andere die Ohren anlegen: Er hat eine Form des Anglizismus verwendet, die völlig sperrig daherkommt. Es ist nicht so, dass er einen englischen Begriff verwendet hätte. Er hat lediglich die Flexibilität des Englischen genommen und auf das Deutsche angewendet. Jeder weiß, was gemeint ist: »aufs Maul gepackt«. Aber diese Formulierung mit dem Substantiv und dem Verb ist so verflucht umständlich; »sich maulen« geht doch auch. Warum sollte es auch nicht? Wenn man Verben substantivieren kann, warum nicht aus Substantiven ein Verb zimmern? (Da ist schon wieder diese sperrig-akkurate Deutsche in mir. Ich möchte gerade verbisieren sagen, aber auch das Wort existiert einfach nicht.)
Lektor und Korrektor würden übrigens in einer Traumatherapie enden, sollte einem Autor einfallen, das in seinen Büchern zu machen.
And I think that’s NOT beautiful.
Warum sind wir so verflucht rational in allem, was wir tun? Warum wird Sprache wie ein Korsett getragen, das viel zu eng geschnürt wurde? Wir ersticken uns selbst darin, taumeln durch die starren Strukturen unserer Grammatik, die exakten Definitionen von Wörtern und unserem anerzogenen Zwang, die Dinge genauestens zu beschreiben.
Wir sind Autoren. Keine Wissenschaftler. Wir sind kreativ. Wir entwickeln ganze Welten in unseren Köpfen, warum ersticken wir diese Kreativität dann mit einer Sprache, die eigentlich wunderschön sein kann?
Sprache ist ein Transportmittel. Ein Mittel zu dem Zweck, ein Abbild von Realität zu schaffen. Sprache ist nicht Selbstzweck.
Unsere Welt besteht aus erheblich mehr als der Abbildung der Dinge, die wir sehen können. Sie ist vielschichtiger und komplexer als der oberflächliche Ablauf einer erdachten Wirklichkeit. Sprache kann auch die Dinge dahinter erfassen, die Zwischentöne, das Unterschwellige. Aber dafür müssen wir sie brechen. Dafür müssen wir wieder lernen, mit ihr zu spielen. Wie die Lyriker, die auf der Grammatik tanzen, Wörter in den Raum stellen, sie einander bekannt machen, um Bilder zu erschaffen, die nicht mit dem Auge sichtbar sind, sondern nur mit dem Herzen.
Gerade in der Romance wird das wichtig. Denn genau dieses Genre lebt von der Emotionalität, die den Deutschen so unendlich schwerfällt. Es geht mir dabei nicht um »Show« und »Tell«. Macht die Schubladen zu, schließt die Mappe, in der ihr eure Schreibtechniken gesammelt aufbewahrt. Geht raus und spielt. Werdet lyrisch.
Ein Leser braucht nicht immer den korrekten Ablauf der Dinge, die gerade passieren. Er braucht ein Gefühl. Er braucht den magnetischen Sog der Emotionen, die eine Szene für ihn bereithalten kann. Er braucht die Spannung in der Luft, die sich wie eine Klammer um seinen Brustkorb wickelt, ihn atemlos werden lässt, während er darauf brennt, die Seite umblättern zu können. Er braucht den Frost in den Adern, während er ungläubig zusieht, wie eine geliebte Figur leidet.
And I think that’s beautiful.
Das ist eine Betrachtung der deutschen Sprachkultur, die ich verstehe. Und dennoch sehe ich sie als nur eine Seite einer sehr fein gearbeiteten Medaille mit sehr sorgsam definiertem Rand an.
Ich kann und mag nicht im eigentlichen Sinn widersprechen, weil nichts von dem, was du sagst, ‚falsch‘ ist. Aber man KANN die deutsche Sprache auch anders wahrnehmen. Vielleicht besonders dann, wenn man fließend Englisch beherrscht. Denn auch diese Sprache hat neben einigen Vorzügen ihre Schwächen. Und eine davon ist der von dir ja bereits angedeutete ‚Mangel an Präzision‘. (Ja, ich weiß. Das hast du so nicht gesagt, aber ich formuliere das mal so um.)
Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänswitwenrentenanspruchsformularausfüllhilfe.
Das ist ein Wort. Word markiert es mir auch nicht an, denn es entspricht den Regeln der deutschen Rechtschreibung. Es ist nicht das längste, deutsche Wort, das offiziell existiert und verwendet wird. Aber ich hätte es ohne Probleme noch länger gestalten können. Und ein Deutscher kann es lesen und erfassen, was es bezeichnet. Ein Amerikaner müsste es aufbrechen und die Aneinanderreihung würde ihm das Verständnis erschweren. Aber dennoch kann er die Fähigkeit unserer Sprache bewundern, Begriffe einfach zu verbinden.
Schadenfreude ist ein Wort, das seit Jahren immer beliebter bei Amerikanern wird, weil es etwas bezeichnet, was man im Englischen nicht mal eben einfach mit einem Wort sagen kann. In der Tat muss man es umständlich umschreiben, denn manchmal mangelt es dem Englischen auch an der Gabe, einen Sachverhalt auf einen einzelnen Begriff zu kondensieren. Für mich hat das etwas … eigentümlich Poetisches, wenn ich ehrlich bin.
Ich rühme mich, einen besonders großen Wortschatz in der deutschen Sprache zu haben und sie ziemlich gut zu beherrschen. Und dabei rede ich nicht von jeder einzelnen Grammatik-Regel. Ich bin kein Germanist, ich bin eine Leseratte. Und zwar schon seit meiner Grundschulzeit.
Ich habe dabei allerdings weniger Weltliteratur gelesen als vielmehr eine gewaltige Bandbreite verschiedener ‚Genres‘. Ich habe wenig Goethe vorzuweisen. Aber ich habe die Deutschen Heldensagen verschlungen. Und gleich darauf dann Jules Verne und zum Nachtisch etwas Crichton. Folglich habe ich Kenntnis von Worten, die nur noch selten verwendet werden. Oftmals so, dass ich tatsächlich erfühlen kann, wie sich Worte im Laufe der Zeit gewandelt haben.
Dieses Wissen gibt mir Mittel an die Hand, genau deinem Vorschlag zu folgen und sehr selbstbewusst neue Worte oder auch gleich neue Formulierungen zu erschaffen. Die Regeln der Sprache bis an ihre Grenzen zu dehnen und manchmal auch ganz gezielt zu brechen. Auf eine Weise, die dabei nicht unverständlich wird, möchte ich mal behaupten.
Was mir dabei allerdings immer wieder auffällt ist, wie unabdingbar an dieser Stelle das Sprachverständnis des LESERS ist. Üblicherweise neckt man mich gerne mal damit, wie lang und ausführlich ich Dinge formuliere und wie archaisch mein Ausdruck manchmal wirkt. Dazu kann ich ehrlich gesagt nur den Kopf schütteln, denn ich verwende die Sprache lediglich in ihrer vollen Bandbreite. Und damit überfordere ich offenbar schon Viele, die sich lediglich leichte Unterhaltung erhoffen und deren Aufmerksamkeitsspanne nach 50 Worten in einem Social-Media-Beitrag erschöpft ist.
Ich will das jetzt nicht als Schuldzuweisung verstanden wissen. Ich werfe dem lesenden Deutschen nicht vor, die eigene Sprache nicht gut genug zu beherrschen, um meine Verwendung derselben vollumfänglich schätzen zu können. Ich beobachte es lediglich und bedauere es auch.
Ja, auf Englisch ließe sich vieles weniger umfangreich und damit zugleich weniger visuell erschlagend ausdrücken. Aber all die zusätzlichen Worte im Deutschen … BEDEUTEN etwas. Der Wahn, alles zu streamlinen und zu reduzieren ist manchmal gut, aber manchmal eben auch schlecht. Poesie entsteht in der deutschen Sprache oft gerade erst durch all die zusätzlichen, vermeintlich überflüssigen Worte. Durch all die Adjektive, mit denen man etwas noch detaillierter umschreiben kann. Durch Füllwörter, die eben NICHT einfach nur überflüssig sind, sondern Stil, Atmosphäre und Rahmen schaffen oder verstärken.
Und das macht die deutsche Sprache auf ihre Weise wunderschön, weswegen ich gerade die Lanze für sie breche. Englisch – und nur da kann ich es wirklich einschätzen, denn nur diese Zweitsprache kenne ich wirklich gut – ist nicht schlechter oder besser. Es ist ganz und gar anders. So sehr, dass ich mich mit Übersetzungen schwerer tue als mit genuinen Neuschöpfungen, denn ich DENKE anders, wenn ich in Englisch arbeite.
Und das … verblüfft und erfreut mich jedes Mal aufs Neue.
Wollte ich nur hierzu gerne loswerden, denn ich muss offen gestehen, dass ich die deutsche Sprache wirklich liebe.
Lieber Mike,
sorry, dass du länger hattest warten müssen. Aber dafür hast du ja nun noch etwas mehr zu lesen. 😉
Ich kann übrigens ebenfalls fließend Englisch. Und genau deshalb fällt die Differenz in der Handhabung der Sprachen auch so auf. Du merkst, was ich schrieb? »Handhabung der Sprachen« nicht »der Sprachen«.
Ich hätte Deutsch nicht studiert, wenn ich es nicht lieben würde. Das tue ich. Von ganzem Herzen.
Und du hast recht, das, was uns so schnell stranguliert, unsere Präzision in der Abbildung einer Realität, ist auch das, was uns ausmacht. Aber wenn es darauf begrenzt wird, erstickt es. Deutsch kann unfassbar viel, ich möchte an dieser Stelle nur mal an die Werke Heinrich von Kleists verweisen, der mit unserer Sprache genauso fantastisch verfahren ist, wie Shakespeare mit seiner Muttersprache.
Die Sache mit den Lehnworten, die du anführst … die lassen wir mal beiseite. Die gibt es in jeder Sprache. Das ist normal und kein Teil dieser Diskussion.
Im übrigen musste ich etwas schmunzeln bei deiner Leseerfahrung. Denn … Jules Verne ist Franzose und auch eine Übertragung ins Deutsche wird immer den französischen Geist enthalten. Chrichton, US-Schriftsteller, für den das gleiche gilt wie bei Verne. Du sagst also selbst, dass du von anderen Lesekulturen geprägt wurdest. Wie ich übrigens auch.
Unsere Sprache kann viel und wir können ihr dabei auch ordentlich in den Arsch treten, damit sie es noch besser kann. Aber dafür müssen wir aufhören, sie als Selbstzweck aufzufassen. Das Deutsche hat, im Gegensatz zum Englischen, die Gabe, die Dinge zu benennen. Das Englische hingegen ist wahnsinnig gut darin, wunderschöne Bilder zu Gefühlen zu entwerfen.
Beides zusammen ergibt eine wunderbare Möglichkeit, alles zu erfassen. Auf der breiten Skala von Präzision und Gefühl balancieren zu können.
Aber dafür müssen wir aufhören, der Sprache und ihrer Präzision einen Altar zu bauen. Genießen wir die Präzision, die wir haben, und entwickeln alles andere weiter. Spielerisch. Entdecken wir die Lyrik in der Prosa wieder. Denn auch darin war unsere Sprache mal ganz groß. Wo ist das hin?
Sprache befindet sich immer im Fluss. Das ist es, was mich mein Studium gelehrt hat. Aber dafür müssen wir sie auch lassen. Dafür müssen wir in diesen Fluss eintauchen und ihn verändern.
Als Wienerin gehe ich naturgemäß etwas lockerer mit der Sprache um als meine deutschen Autorenkollegen. Das liegt genau daran, was du in deinem Beitrag schreibst: Die deutsche Seele will präzise und korrekt sein, die Wiener Seele (ich weiß nicht einmal, ob ich für alle Österreicher sprechen kann), liebt die feinen Nuancen, die Zwischentöne. Sie opfert grammatikalische Korrektheit dem Ausdruck, denn ihr sind Atmosphäre, Stimmung und Gefühl ungemein wichtig. Und natürlich die Ironie! Diese feinen Sarkasmen, die man oft am Sprachduktus oder am Tonfall erkennt, die aber im Norden ins Leere laufen, weil man dort jeden Satz wortwörtlich nimmt.
Ich erlebe immer wieder, wie groß offenbar die Angst meiner deutschen Freunde ist, etwas nicht korrekt zu schreiben, die Sprache nicht korrekt zu verwenden. Vor lauter Korrektheit verlieren viele Texte ihre Seele, und das finde ich ungemein schade. Sicher sollte man als Autor die Regeln kennen, aber man sollte auch den Mut haben, sie zu brechen, wenn die Wirkung es erfordert. Es gibt übrigens auch englische Wörter, die nahezu unübersetzbar sind. Mein Lieblingswort von dieser Sorte ist sophisticated. Auf Deutsch bräuchte ich dafür vermutlich einen ganzen Satz. Doch da sind wir wieder bei den feinen Nuancen und Zwischentönen, die man eben nicht mit dem Verstand festmachen, sondern auf Anhieb erfassen und fühlen muss.
Danke für diesen schönen Beitrag!
Du sprichst mir aus der (norddeutschen) Seele damit. 🙂