Die Liebe …

erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.
(Nach: 1. Kor. 13)

Wenn man Bücher schreibt, liest man selbstredend auch über das Schreiben an sich. Kein Autor ist eine Insel und schüttelt sich die Dinge aus dem Ärmel. Auch wir lesen. Romane, Sachbücher, Blogs, Artikel, Zeitschriften … eben alles, was man lesen kann. Und natürlich mache das auch ich. Normalerweise gehöre ich zu den schweigenden Lesern. Insbesondere bei Diskussionen oder Beiträgen von Autoren und/oder über das Schreiben. Aber was soll ich sagen? Sag niemals nie. Jetzt ist es soweit: Ich habe das dringende Bedürfnis, etwas zu einem Artikel zu sagen, den ich heute gelesen habe und der mir seitdem quer liegt aus gleich mehreren Gründen.

Es geht um den Artikel Die Liebe ist wie ein Turnier – Spannungsbogen im Liebesroman von Stephan Waldscheidt. Darin enthalten eine Anleitung zum – wie der Titel bereits vermuten lässt – Spannungsbogen im Liebesroman. Der Einfachheit halber werde ich jetzt Zitat für Zitat durchgehen, was dazu geführt hat, dass mir der Artikel sauer aufgestoßen ist:

Mit »Romeo und Julia« hat Shakespeare (von dem das Zitat im Titel stammt) ein Liebesdrama geschrieben, das im heutigen Buchmarkt wenig Chancen auf Veröffentlichung hätte. Es fehlt das Entscheidende: das Happy End. Der typische Liebesroman geht immer gut aus, das heißt: Die Liebenden finden zueinander und sind am Ende des Romans zusammen.

Wenn man sich mal mit »Liebe« als Motiv in der Literatur auseinandersetzt, merkt man schnell, dass es Unterschiede zwischen Liebesromanen und Liebesromanen gibt. Bücher wie »Ein ganzes halbes Jahr« von Jojo Moyes oder »Das Schicksal ist ein mieser Verräter« von John Green sind definitiv Liebesromane. Aber sie haben kein gutes Ende im Sinne eines happily ever after (HEA). Dem gegenüber stehen diverse Liebesromane, bei denen das Happy End nicht nur kommt, sondern zwingend erforderlich ist.

Im Rahmen einer Gruppe von Autoren, die alle im gleichen Genre (wenn auch verschiedenen Subgenres) unterwegs sind, kamen wir in einer sehr hitzigen und wortreichen Diskussion daher zu folgendem Konsens: Es gibt Liebesromane und es gibt Romance, was zwar wörtlich betrachtet identisch ist, jedoch einem eigenen Regelwerk folgt. Ich denke, jeder, der Romance liest, wird wissen, was der Unterschied ist. In der Romance kann – je nach Subgenre variierend – alles mögliche passieren, die Gefühle dürfen Achterbahn fahren und es darf auch mal um Haaresbreite daneben gehen. Aber … und das ist eines der zentralen Merkmale der Romance … es muss in irgendeiner Form ein Happy End stattfinden. Am Anfang, in der Mitte oder am Ende eben, aber es muss da sein. Und es muss klar sein, dass das Paar, das sich gefunden hat, auch nach der letzten Seite noch Bestand hat.

Herr Waldscheidt irrt, wenn er glaubt, dass »Romeo und Julia« heute keine Chance mehr auf dem Buchmarkt hätte. Jojo Moyes und John Green scheinen mir doch mehr als nur erfolgreich zu sein. Sie wären nur halt als Romance nicht erfolgreich. Aber es hat niemand auch nur versucht, diese Bücher als selbige zu vermarkten. Weder in der Covergestaltung, die ganz eigenen Regeln folgt, noch in anderen Belangen. Sie sind Liebesromane. Und die garantieren für nichts, außer dafür die Taschentuchindustrie glücklich zu machen.

Allein an dieser Stelle geht also der Artikel m. E. bereits in die Knie, zeugt er doch von einiger Unkenntnis der Thematik und macht damit den Fehler, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Romance ist – von seinen Wurzeln her – ein zutiefst us-amerikanisches Genre. Vielleicht erinnert sich noch wer an die Zeit, in der man auf Wühltischen preisreduzierte Mängelexemplare mit halbnackten Pärchen auf dem Buchdeckel gesehen hat? Jene Bücher, die man verschämt herausgefischt und dann mit dem Buchrücken nach oben (in der Hoffnung, dass die Designer das Bild von vorn nicht klein hinten wiederholten) zur Kasse geschleppt hat im Kaufhaus. Um es kurz zu machen: DAS ist Romance. Entstanden aus den einstigen Heftromanen, in denen Ghostwriter für wöchentliche oder monatliche Ausgaben jeweils drei Geschichten à 125 Seiten produzierten, die allesamt ein gutes Ende hatten. Und ja, alle diese Geschichten endeten auch damit, dass man drunter schrieb: ENDE – etwas, das bis heute noch bei vielen Bestand hat, auch wenn es eher unbewusst passiert. Damals signalisierte das ENDE nämlich nur das Ende dieser Geschichte und dass es danach mit der nächsten weitergeht. Diese Heftromane wurden erstmals vom Cora Verlag publiziert in Deutschland, damals ein Joint Venture zwischen Axel Springer und Harlequin Enterprises. Erfolgreiche Reihen dieses Joint Venture: Julia, Baccara, Tiffany, MyLady – jede einzelne dieser Reihen mit einem eigenen Schwerpunkt im Handlungsrahmen, aber alle ausnahmslos  mit einem Happy End. Diese Heftreihen fächerten sich im Lauf der Jahrzehnte auf in etwas, das wir heute noch als Subgenres kennen: Contemporary, Historical (generell und Regency im Besonderen), Erotik, Suspense/Thrill … die Liste ist ungefähr so lang, wie das unüberschaubare Feld der Romance heute und es kommen laufend neue hinzu.

Aber natürlich unterliegt jedes Genre einem Wandel – so auch die Romance. Sie wuchs. Sie entwuchs ihren Kinderschuhen »Heftroman«, als man aufhörte, sich auf die vorgegebenen 125 Seiten mit strikten Verlagsvorgaben zu beschränken und damit begann die Handlungsstränge weiter auszubauen. Eine der produktivsten Autorinnen in dieser Zeit ist Joanna Lindsey, die sowohl Historical Romance als auch Sci-Fi-Romance geschrieben hat. Die bis heute unangefochtene Königin der Romance ist Nora Roberts. Die Autoren (oder besser Autorinnen, denn es sind überwiegend Frauen in diesem Genre anzutreffen) traten aus dem Schatten der Verlage, die Romane wurden länger, die Handlungsstränge komplexer … kurz: es entwickelte sich eine Roman-Kultur in der Romance, die nur selten die 300 Buchseiten unterschritt, und eine Marktmacht, die sich durch das Selfpublishing in ungeahnte Ausmaße potenziert hat.

Warum das geschehen konnte? Aus dem gleichen Grund, aus dem die Literaturwissenschaft die Romance in ihren Betrachtungen verschmäht: aufgrund ihrer Struktur. Haupthandlung (Liebesgeschichte) und Nebenhandlung (was letztlich das Subgenre definiert), die in unterschiedlicher Gewichtung in den Büchern miteinander verflochten sind und bei denen am Ende eines klar ist: Das Liebespaar hat verdammt noch mal glücklich in den Sonnenuntergang zu reiten, damit ich als Leser das Buch mit einem guten Gefühl zur Seite legen kann.
Und da haben wir schon wieder einen Unterschied zwischen dem Liebesroman und der Romance: Die Romance will unterhalten. Auch sie lässt einen Leser gern mal Achterbahn fahren (abhängig vom Subgenre mit literweise Blut, Fantasy-Elementen oder einer ganzen Fantasy-Welt, einem ungeklärten Mord, einer Sportverletzung oder oder oder … und mit den daraus resultierenden Auswirkungen auf die Liebesgeschichte), aber am Ende steht das gute Gefühl und damit auch zwingend das Happy End.
Der Liebesroman hingegen möchte den Leser in ein Gefühlsbad setzen, er ist nicht darauf angewiesen, dem Leser ein gutes Gefühl am Ende zu geben.

Aber weiter im Artikel:

Faustregel: Je schwerer Sie den Liebenden die Liebe machen, desto größer die Spannung bei der Leserin.

Diese Faustregel ist wie das, was eine Hellseherin aus der Kristallkugel zieht: ein Gemeinplatz, bei dem es mir kalt den Rücken runterläuft. Inhalt gleich null. Und gleichzeitig ein herrlicher Hinweis darauf, dass der Verfasser vermutlich keine einzige Romance (denn auf die baut er ja den Artikel auf, wenn er glaubt, ein Happy End sei Voraussetzung) gelesen haben kann.

Spannung zwischen den Liebenden? Ja! Natürlich! Aber eben nicht nur im Sinne von

Wenn die Frage »Wie kommen die Liebenden zusammen?« die zentrale dramatische Frage Ihres Romans ist, haben Sie einen Liebesroman geschrieben. In welche Richtung der Liebesroman dann noch geht, hängt von den sekundären dramatischen Fragen, den sekundären Spannungsarten ab.

In vielen Liebesgeschichten geht es noch um etwas anderes, was dann die sekundäre Spannungsart bestimmt: um den Kampf um die Macht in der Beziehung.

Herr Waldscheidt übersieht an dieser Stelle leider etwas: den Umstand, dass es viele Varianten der Liebeshandlung in einer Romance gibt. Nur um das mal kurz anzureißen: Paar trifft sich, kann sich nicht ausstehen; Paar trifft sich, liebt sich, aber die Nebenhandlung kommt als Störfaktor dazwischen; Paar trifft sich, ziert sich aus unterschiedlichsten Gründen; Paar trifft sich aufgrund der Nebenhandlung und hat deshalb Probleme, zueinander zu finden … das, was ich hier gerade so salopp hinwerfe, geht noch unendlich differenzierter (und ja, ich gebe es zu, erheblich sensibler und romantischer, allein darüber kann man einen eigenen Beitrag schreiben). Fakt ist, dass es in nur wenigen dieser Variationen um das Machtgefüge in der Beziehung geht. Spannung erzeugt das Zusammenspiel aus Nebenhandlung und Haupthandlung, um Missverständnisse, die daraus entstehen, aus Entscheidungen, die getroffen werden (müssen) oder aus der generellen Anlage des Settings (bspw. Stiefgeschwister oder Geheimnisse aus der Vergangenheit) etc. pp.

Oder um es ganz kurz zu machen: durch tropes.

Okay, okay … ich gebe zu, mein Lieblings-trope (Kidnapped) hat wirklich was mit Schlagabtausch und dem Machtgefüge zwischen den Liebenden zu tun. Das liegt jedoch am trope, nicht grundsätzlich an der Romance.

Ich glaube, wenn Herr Waldscheidt an »Liebesromane« denkt, denkt er primär an Geschichten, die letztlich keine Romance sind. Er denkt in der Schublade von Hedwig Courths-Mahler und Rosamunde Pilcher. Ich möchte diese beiden Autorinnen absolut nicht diffamieren, wenn ich sie hier aufführe, aber sie stehen letztlich für etwas, das Romance nicht ausmacht. Keine dieser beiden Autorinnen möchte unterhalten, sondern den Leser in das Wechselbad der Gefühle eines Liebesromans setzen. Ich stelle jetzt daher einfach mal die These auf, dass eine Frau Courths-Mahler viel öfter kein Happy End gewählt hätte, wenn der Verlag es nicht erfordert hätte. Denn Frau Courths-Mahler war Heftromanautorin in einer Zeit, in der es schwierig war, als Frau sich den Unterhalt selbst zu verdienen, und Frau Pilcher hat zu einer Zeit geschrieben, in der besagtes Genre mit Happy End noch nicht mal eine Fassung hatte – ihr letzter Roman erschien im Jahr 2000. 2012 gab sie im Alter von 87 Jahren das offizielle Ende ihrer schriftstellerischen Karriere bekannt.

Aber jetzt zu meinem größten Kritikpunkt:

Als John Alba schreibt er Mystery-Thriller.

Lieber Herr Waldscheidt,
bitte sehen Sie es mir nach – ich bin Romance-Autorin. Um genau zu sein Romantic Fantasy (okay, darüber kann man diskutieren, könnte auch Paranormal Romance sein) und Dark Romance. Aber …

Ich würde es mir im Leben nicht einfallen lassen, über Krimis oder Thriller einen Artikel zu verfassen. Von diesen Genres lese ich im Jahr ungefähr zwei Bücher.

Meine wichtigste Aussage zu Ihrem Genre ist: Es war der Gärtner. Und wenn der es nicht war, war es der Butler. Auf jeden Fall der Typ, der wie Udo Kier aussieht.

Fällt Ihnen was auf? Richtig. Ich würde mir nie einfallen lassen, etwas über die Strukturen eines Genres zu schreiben, wenn ich damit selbst nichts zu tun habe. Meine Examensarbeit hieß daher auch »Happy End garantiert – zur Struktur des trivialen Liebesromans« und nicht »Es war der Butler! – Zur Struktur des Thrillers«.

Über die Autorin:
Sarah Baines hat die Dreißig erfolgreich hinter sich gelassen und irgendwann davor mal was mit ihrer Muttersprache studiert. Zum Magister hat’s dabei auch noch gereicht. Ihre erste Romance hat sie im Jahr 2006 veröffentlicht. Nach vielen Jahren Pause hat sie sich 2016 dazu entschieden, als Indie-Autorin wieder Bücher zu veröffentlichen. Inzwischen hat sie sechs Romane und zwei Kurzgeschichten herausgebracht, weitere Romane sind in Vorbereitung.

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