Das toxische »Toxisch«

Gestern ist ein Blogbeitrag einer Lektorin online gegangen, der mir nun wiederholt auf die Timeline gespült wurde. Und nachdem ich ihn gelesen habe, möchte ich mir auch nicht vorenthalten, dazu eine Meinung zu haben.

Worum geht’s? Um den Post »Twilights Kinder« von Susanne Pavlovic.
Und um es vorweg zu nehmen, meine Meinung zum Inhalt ist: Ich möchte mir den Finger in den Hals stecken und … kann mir mal bitte wer die Haare festhalten?
Ich möchte der Frau nicht ihre fachliche Kompetenz absprechen … in ihrem Fach. Aber wie so oft im Leben: Wenn man keine Ahnung von einem Thema hat, ist es gut, sich mit der Meinung dazu etwas bedeckter zu halten. (Natürlich kann man diese durchaus haben, nur sollte man sich wirklich überlegen, ob man diese – aufgrund mangelnder Kenntnis der Materie – mitsamt ihrer sehr wackeligen (und nicht fundierten) Beweisführung dann ins Netz posaunen muss. (Es sei denn, man möchte damit einfach nur Aufmerksamkeit haben, indem man in dem Post wiederholt darauf verweist, womit man eigentlich seine Brötchen verdient… Na, ich möchte hier nicht ins Spekulieren kommen.)

Fangen wir einfach mal von vorne an.

Fehler Nummer 1: Die Verfasserin kann irgendwie Young Adult nicht von Young Adult Romance unterscheiden, was zugegeben etwas schwierig ist, denn im Zuge der zunehmenden Amerikanisierung unserer Belletristik-Landschaft haben wir aufgehört von Jugendromanen (Young Adult) zu reden und haben parallel dazu den Begriff YA Romance als »Young Adult« in unseren Sprachschatz übernommen.
Der große Unterschied (strukturelle Unterschiede mal ausgenommen) ist, dass sie jeweils andere Lesergruppen bedienen. Während der Jugendroman (Young Adult) sich an Jugendliche richtet und mit dem Alter der Protagonisten die Identifikationsmöglichkeiten der Leser erhöhen will, richtet sich die YA Romance im Kern an Menschen zwischen 16 bis 30 (Normabweichungen – vor allem nach oben – inklusive), die auf diesem Wege das Gefühl der ersten großen Liebe noch mal zurückholen möchten.

Fehler Nummer 2: Der absurde Glaube, dass Young Adult Romance mit der Twilight-Saga erst entstanden sei. (Na? Kann da wer Google nicht richtig nutzen?) Das Genre hat seinen Ursprung im Jahr 1942 mit dem Buch »Seventeenth Summer« von Maureen Daly. Steht übrigens so schon bei Wikipedia, man muss also nicht allzu lang recherchieren. Kann man da sauber (wenn auch auf Englisch) nachlesen.

Fehler Nummer 3: Twilight für YA Romance zu halten. Bella ist zu Beginn der Handlung zwar 17 (die übliche Altersspanne von YA Romance liegt zwischen 14 und 18), die wird im Verlauf der kompletten Handlung allerdings nicht nur 18, sondern sogar schwanger. Und das sind keine Inhalte von YA Romance, sondern von New Adult Romance (im Weiteren  mit NA Romance abgekürzt).
Ich weiß, dass man da trefflich drüber streiten kann, eben aufgrund Bellas Alter zu Beginn. Letztlich aber geht es in dieser Serie (denn eine Reihe ist es nicht wirklich) um Probleme junger Erwachsener und damit nicht um die Probleme, die in der YA Romance im Focus stehen.
Es gibt noch einen weiteren Unterschied zwischen YA und NA Romance: die Erotik. In der YA Romance spielt diese nämlich keine Rolle und wird, sofern überhaupt vorhanden, nur am Rande thematisiert, bzw. es wird an der Stelle höflich ins Kaminfeuer ausgeblendet.
Ja, ich bin mir bewusst, dass es mittlerweile mehr und mehr Autoren gibt, die sich an diesen Grundsatz nicht halten. Und ja, ich sehe das ebenfalls kritisch. Wenngleich auch aus anderen Gründen als die Autorin des vorliegenden Posts.

Aber nun zum wichtigsten Punkt – Fehler Nummer 4: Das Wörtchen »toxisch« (bei dessen neuerdings inflationärem Gebrauch ich von Haus aus schon auf die Hinterbeine gehe, aber das ist ein anderes Thema).
Der wichtigste Handlungsstrang einer Romance ist die Liebesgeschichte der Protagonisten (wenig überraschend). Da kann alles Mögliche passieren. Die Liebesgeschichte endet erst, wenn der Konsens da ist. Da gibt es Eifersüchteleien, Missverständnisse, Streits, Trennung, Tränen … kurzum: Es gibt eine Menge Dinge, die auf dem Weg passieren, ehe der Konsens eintritt. Dieser Konsens entsteht in den allermeisten Geschichten durch eine Aussprache der Protagonisten. Eigentlich also eine ziemlich coole Sache, oder? Denn plötzlich tun diese Liebesgeschichten etwas, das so gar nicht toxisch ist: Sie zeigen Leserinnen jeden Alters nämlich, dass a) Konsens erstrebenswert ist und b) man miteinander reden muss, um ihn zu erreichen.
Ohne jetzt gemein sein zu wollen, aber kann es sein, dass wir das in unseren eigenen Beziehungen im Alltag viel zu schnell vergessen? Und ist es nicht eigentlich sogar positiv, wenn es da eine Literatur gibt, die einem genau das wieder und wieder vor Augen führt?

Aber Frau Pavlovic hat ja nach eigener Aussage nicht genug mit dem Genre zu tun, um das zu wissen, und zieht sich auf etwas zurück, bei dem ich nach wie vor nach jemandem kreischen möchte, der mir die Haare festhält, damit ich besser … Äh … Schönes Wetter draußen, oder?
Also … Frau Pavlovic nimmt nun einzelne Aspekte der Romance (Aspekte, von denen einige in der YA nicht mal Raum haben), dampft sie ein, zerrt sie aus dem Kontext und reibt sie uns unter die Nase. Und zwar all diese miesen kleinen Dinge, die uns die Emanzipation gelehrt hat, die wir nicht haben dürfen, die wir aber trotzdem haben.

  • Ja, wir sind eifersüchtig (das sogar geschlechtsunabhängig) und wir machen dann dumme Dinge.
  • Ja, wir sind schnell verunsichert, wenn wir uns eines Partners nicht sicher sind und fahren dann in Gedanken Karussell. Weil keiner von uns das Selbstbewusstsein eines Narzissten hat und bei einem Moment, wie dem von Frau Pavlovic geschilderten, sich ein Ei drauf pellen würde.
  • Ja, viele Frauen sehnen sich nach einem dominanten, starken Partner, damit wir mal von der Emanzipation (die übrigens ziemlich anstrengend ist) eine Pause machen können. (An dieser Stelle möchte ich mein Beileid für die Männer ausdrücken, die diese Pause kulturell bedingt nicht oder nur sehr schwer haben können, denn was für uns Frauen Emanzipation ist, ist für sie Standard. Mich wundert so gesehen wirklich, dass nicht mehr Love Interests an Burnout leiden. Vielleicht liegt es aber wirklich daran, dass wir durchaus in der Lage sind, Realität von Fiktion zu unterscheiden und eben nicht die gleichen Maßstäbe an unsere Liebesbeziehungen anlegen wie an den Protagonisten einer Romance.)
  • Ja, viele Frauen finden es erregend, sich vorzustellen, »zum Glück gezwungen« zu werden. (Was übrigens nichts daran ändert, dass wir im Alltag einen Mann dafür an seinem Schwanz am nächsten Fahnenmast hochziehen würden.)
  • Und ja, viele von uns finden es erregend, vom Partner/Love Interest Grenzen gesetzt zu bekommen. Nichtsdestotrotz käme in der Realität danach umgehend die Sache mit dem Fahnenmast ins Spiel. (Das von Frau Pavlovic herangezogene Beispiel ist dafür in der Tat extrem, aber in der Dark Romance nun mal häufiger anzutreffen. Dark! Die ist von Haus aus nicht YA (NA schon eher) oder aber ich würde der Autorin mit der Keule eins überbraten für dieses miserable Characterbuilding und dem Albtraum eines jeden Genrebruchs.)

Ich bin mir unschlüssig, warum Frau Pavlovic unbedingt Twilight als Aufhänger nehmen musste für ihren Beitrag. Clickbait? Nun ja, ich möchte ihr da nichts unterstellen. Im Zweifelsfall wusste sie es nicht besser. Am Ende hätte sie jede Romance dafür nehmen können. Und am besten wäre sie mit ihrer Kritik vermutlich gefahren, wenn sie gleich zu einer Dark Romance gegriffen hätte, um das aufzuschlüsseln, was sie sagen wollte.

Der Kern ihrer Kritik ist der, dass sie die unrealistischen und (vermeintlich) toxischen Muster der Romance als schlechten Einfluss für Jugendliche betrachtet.
Nun … Was soll ich sagen? Ich war zwölf, als ich im Gästezimmer meines Elternhauses zwei Bücher fand, die eine Freundin meiner Mutter dort vergessen hatte. Ich habe sie gelesen. Beide. Und ich war fasziniert. Worum es ging? Um Nötigung, sexuellen Missbrauch unter Drogeneinfluss (Yeah! Frau Lindsey hat damals noch die fiesesten Bodice Ripper geschrieben!), um wirklich phänomenalen Sex, dominante Männer … und um Konsens.

Ich war angefixt, um es milde auszudrücken. Nicht, weil es mir eine neue Welt eröffnet hat, sondern weil ich Dinge lesen konnte, die zu dem Zeitpunkt bereits als vage Vorstellungen in meinem Kopf waren. (Ja, ich war frühreif!) Diese Bücher gaben mir das Gefühl, nicht alleine zu sein mit diesen Gedanken. Es war erleichternd. Es war eine Offenbarung. Ich hatte endlich einen Raum für diese Fantasien. Fantasien, die ich noch heute habe. Fantasien, ohne die ich nie zu diesen Büchern gegriffen hätte.
Fakt ist, dass ich anschließend gezielt nach diesen Büchern (also Büchern mit genau jenen unemanzipierten Inhalten) gesucht habe, weil sie mir das Gefühl gaben, dass es okay ist. Dass ich okay bin. Ich habe Stunden (meine Mutter erinnert sich noch) vor den Bücherstapeln im Kaufhaus (denn dort fand man diese Bücher wenigstens – meist auf dem Grabbeltisch) verbracht, habe Klappentext über Klappentext gelesen, um diese Bücher aus der Flut an Romance-Büchern herauszupicken und zur Kasse zu schleppen. (Denn tatsächlich sind besagte Bücher nicht die Mehrheit auf dem Romance-Markt.)
Geschadet hat mir davon kein Einziges und ich muss zugeben, dass die Bodice Ripper von damals teilweise noch heftiger waren als das, was wir heute serviert bekommen, eben weil das Weltbild damals noch ein anderes war. (Randnotiz: Wir reden hier von jener Zeit, in der Vergewaltigung in der Ehe keine Straftat war.)

Erst elf Jahre später habe ich begriffen, warum die Fantasien in meinem Kopf anders sind. Ich bin devot. Aber diese Erkenntnis war dann für mich kein Schock mehr. Es war irgendwie nur beruhigend. Denn die Bücher haben mich mehr gelehrt, als nur, dass es okay ist, diese Fantasien zu haben. Sie haben mich gelehrt, dass ich ein Anrecht auf erfüllenden Sex und Konsens in meinen Beziehungen habe. Denn beides sind feste Bestandteile einer Liebesbeziehung. Darin unterscheiden sich Bücher und Realität nicht voneinander.
Was genau soll daran jetzt also toxisch sein?

Und weil ich es an dieser Stelle gerade wichtig finde: Danke, Mama, dass du mir nie verboten hast, diese Bücher zu lesen. Danke, dass du mich zu einer selbstbewussten Frau erzogen hast, die weiß, dass sie ein Recht darauf hat, so zu sein, wie sie ist. Danke, dass du mir all das beigebracht hast, was ich brauchte, um Fantasie und Realität trennen zu können.

2 comments

Hi Sarah,
als ich den Beitrag von Frau Pavlovic durchgelesen habe, hatte ich mich auch sehr darüber gewundert wie sie über das „Twillight“ – Genre schreibt. Die Extreme die die Lektorin(ob der Beruf auch das Richtige für sie ist, lassen wir da mal so hingestellt sein) konnte ich gar nicht verstehen. So wie Du in Deinem Blog es beschrieben hast, handelt es sich da um ein ganz anderes Genre.
Früher haben viele in meiner Schule, als wir jünger waren Dinge gelesen. Ob es Psycho-Thriller, Liebesromane, Fantasy oder Horror war, da mussten unsere Eltern sich keine Gedanken darum machen das wir es reflektieren. Es ist wichtig den Kinder bei zu bringen (ob es nun ein Buch, ein Spiel auf den Computer oder der Konsole oder einen Film ist) das in der Fantasie und Fiktion alles möglich sein kann und auch darf. Es das aber halt auch nur ist. Und nur weil ich gerne Lese wie eine Frau dominiert wird oder eine Elfe durch den Wald schwebt, muss es doch gleich heißen das ich jetzt Durch den Wald renne und danach suche.

Ich liebe das Gerne Dark Romance und Fantasy, ich habe von Dir jedes Buch gelesen und gesuchtet. Dennoch habe Zuhause einen tollen Mann und Kind wo ich eher mal den Ton angebe und mich um die Hauptaufgaben kümmere. Und das finde ich auch gut so. Ist es da verwerflich das Ich dann mal, wenn mein Sohn schläft und mein Mann angeln ist, ich der Welt entfliehen möchte und in die tiefen, düsteren Geschichten eintauche wo ich all die Kontrolle und die Erotik finde die ich so begehre.

Ich fing wie Du, sehr Jung an, diese Bücher zu lesen. Bei mir war es bloß ein super langweiliger Nordsee Urlaub und meine Mama (Mamas sind halt die Besten) mir ein Buch in die Hand gedrückt hat damit ich beschäftigt war. Ich habe nie viel gelesen, jeder war auf Harry Potter so angefixt, ich dachte nur – wie langweilig, aber als ich das Buch in der Hand hatte, mit dominanten Männer und einer Devoten Frau habe ich ein wunderschönes Hobby für mich entdeckt.

Ich habe mich nicht mehr komisch gefühlt bei solchen Gedanken, nicht mehr alleine. Und dafür bin ich dankbar. Denn als 13 Jährige deine Gelüste und Vorlieben nicht zu verstehen und Angst davor zu haben das du unnormal bist, macht viel mehr angst.

Wenn wir Kinder richtig erziehen und ihnenen als Eltern die Unterschiede früh genug verstehen zu geben, dann können wir Ihnen sogar mit unentdeckten Gefühlen vielleicht mit solchen Büchern helfen hat statt diese zu verurteilen, weil man sie nicht versteht.

Liebe Frau Pavlovic,
sie werden das vielleicht nie hier lesen,, aber man weiß ja nie… Seien sie bitte nicht solch eine versnobte Frau die auch behauptet das PC Spiele Kids dazu bringen aggressiv und Schießwütig zu werden. Teenager finden sich grade noch uns das Mädchen was den Sohn ihrer Freundin abgeschossen hat, weiß selber noch nicht was sie will. Und wenn sie einen dominanten Mann irgendwann möchte, der den Ton angibt, na und. Dann möchte sie es so, der Junge wird dann eine Bessere und Richtige bekommen. Und wer sagt den ob das auch der wirkliche Grund für die Abfuhr war.

Bücher sind dazu der Realität zu empfliehen, lassen Sie uns diese Unabhängigkeit und Freiheit. Die Welt ist schon viel zu Realistisch.

Danke 🙂

Hallo Lisa,

vielen, vielen Dank für deinen Kommentar. Es ist schön zu lesen, dass andere die gleichen Erfahrungen wie ich gemacht haben. Und ja, ich halte es auch für befremdlich, pauschal Bücher/Spiele etc. als Ursache für Fehlverhalten zu nennen. Es ist eine Sache der Erziehung (nicht nur der Eltern), Kindern und Jugendlichen den Unterschied zwischen Realität und Fiktion beizubringen. Wir haben ja auch Tom & Jerry gesehen und hinterher keine Kojoten von der Klippe springen lassen. 😉

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