»Nur Hunde spielen mit Knochen.«
»Wenn jemand so viel Zeit auf sein Aussehen verwendet, wie viel Zeit bleibt dann noch für den Charakter?«
»Hier, iss mal wieder was Vernünftiges, damit du etwas Fleisch auf die Rippen bekommst!«
Na? Kommen Ihnen diese und ähnliche Sätze bekannt vor? Ja, oder? Gemeint sind damit jene Menschen, die einem (aktuell geltenden) Idealbild entsprechen. Menschen, die wie »Kleiderständer«, »Hungerhaken«, »Barbie & Ken«, »Püppchen« oder gleich wie das »Porno-Klischee« daherkommen und deren assoziierter »Selbstoptimierungswahn« für viele Anlass bietet, sich darüber zu echauffieren. Meist fallen solche Sprüche, wenn man zum Ausdruck bringen will, dass man selbst dieses normierte Bild des »perfekten Körpers« gar nicht so anziehend findet.
Den wenigsten ist dabei bewusst, was sie dort tatsächlich machen: Sie diskriminieren eine Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer (physischen) Merkmale. Weil sie ihr eigenes ästhetisches Empfinden aufwerten, indem sie anderes abwerten. Und es gibt jene, denen bewusst ist, was sie da tun. Und die es mit einem Achselzucken und einem herzlichen »Die haben es so gut, das müssen die einfach abkönnen.« zur Seite fegen.
Aber drehen wir den Spieß doch mal um und machen aus »Wenn jemand so viel Zeit auf sein Aussehen verwendet, wie viel Zeit bleibt dann noch für den Charakter?« ein herzhaftes
»Wenn jemand so wenig wert auf sein Äußeres legt, wie wenig wert legt er dann auf sein Inneres?«
Shitstorm in 3 – 2 – 1 … und das vollkommen zurecht, denn einen Menschen aufgrund eines Merkmals abzuwerten, nennt sich Diskriminierung. Und dabei ist es vollkommen unerheblich, um welches Merkmal es sich handelt oder wie diese Person (vielleicht sogar aufgrund dieses Merkmals) in der Gesellschaft wahrgenommen wird.
Fällt Ihnen etwas auf? Nein? Wieso wussten Sie eigentlich, dass ich den Satz auf Menschen mit mehr Gewicht bezogen habe? Ja, das ist der Moment, an dem Sie sich an die eigene Nase fassen sollten. Ihr Gehirn hat automatisch den Empfänger der Aussage ergänzt, denn wir alle leben mit gesellschaftlichen Normvorstellungen.
Schlank wird dabei assoziiert mit: gesund, sportlich, intelligent, attraktiv, fleißig, diszipliniert usw. usf. Mehrgewichtig hingegen wird assoziiert mit: unsportlich, faul, dumm, träge, undiszipliniert, verfressen usw. usf.
Genau darauf sind Sie gerade reingefallen. Und exakt da beginnt Diskriminierung: Wenn wir einem Merkmal Attribute zuordnen, ohne dafür Belege zu haben. Das Problem dabei ist, dass jeder von uns mit genau diesen Schubladen sozialisiert worden ist und wir, selbst wenn unser ästhetisches Empfinden nicht dem Idealbild entspricht, mit selbigen zu kämpfen haben. Denn ganz unbewusst verwenden wir die Schubladen eben doch und dann kommen plötzlich Sätze wie: »Nee, ich steh nicht auf Hungerhaken. Da muss ich ja Schiss haben, was kaputtzumachen, wenn ich sie einmal zu fest anpacke.«
Solche Sätze dienen der Verteidigung des eigenen Schönheitsideals … ohne je angegriffen worden zu sein. Denn sozialer Druck wird bereits empfunden, sobald man nicht das Idealbild präferiert. Aber solche Sätze sind weitaus mehr als das. Sie sind darüber hinaus auch eine Abwertung all jener, die dem gesellschaftlichen Normbild von Attraktivität entsprechen.
Jeder von uns hat eine Vorstellung von Attraktivität. Jede davon zeichnet aus, dass sie individuell ist. Gesellschaftliche Ideale, wie sie in den Medien propagiert werden, sind letztlich nichts weiter als künstlich erzeugte Bilder und stimmen selten bis nie mit der Vorstellung des Einzelnen überein. Jeder Mensch legt seine eigenen Maßstäbe an sich und an andere – und nicht selten unterscheiden sich diese beiden Maßstäbe auch voneinander.
Nehmen wir mal mich als Beispiel: Ich habe vor einer Weile eine Menge Gewicht verloren. Und ich bin wahnsinnig stolz darauf. Ja, ich entspreche mit meinen heutigen Maßen dem Idealbild oder eben besagtem Porno-Klischee von weiter oben, denn ich habe mir tatsächlich auch die Brüste machen lassen. Und genauso, wie ich vor dem Abnehmen nicht »deutscher Panzer« genannt werden oder Fragen beantworten wollte, wie: »Ist dir das nicht lästig, das viele Gewicht beim Treppensteigen zu schleppen?«, möchte ich heute auch nicht »Püppchen« genannt werden oder mitgeteilt bekommen, dass ich mir die Brüste nur habe machen lassen, weil ich so wenig Selbstbewusstsein habe, dass ich mich dem gesellschaftlichen Druck unterordnen muss.
Wir alle haben das Recht, uns eigene Maßstäbe zuzulegen, an denen wir uns (und andere) messen. Es ist vollkommen legitim, etwas nicht attraktiv oder sexuell anziehend zu finden. Ich finde bspw. Six-Packs bei Männern sexuell nicht anziehend. Sieht nett aus – ohne jede Frage –, aber weder würde ich deswegen Karten für eine Stripshow bezahlen, noch bei meinem Partner auf einen solchen Trainingsstatus bestehen. Es lässt mich schlichtweg in jeglicher Hinsicht kalt.
Nicht legitim jedoch ist es, sich hinzustellen und zu sagen, dass Männer mit Six-Packs diese nur haben, um ihren kleinen Schw*nz, ihr mickriges Ego oder eine ausgewachsene Charakterschwäche zu übertünchen und »echte Kerle«™ sowas ja nicht nötig hätten. Es ist auch nicht legitim, Menschen mit mehr Kurven immer wieder zu erklären, wie ungesund ihre Kurven seien. Jeder Mensch verfährt mit seinem eigenen Körper so, wie er es für richtig und gut hält.
Lasst uns einfach aufhören. Lasst uns uns selbst lieben und die anderen lieben lassen. Haben wir nicht Besseres zu tun, als anderen unsere Idealvorstellungen aufzuzwingen oder ihnen die eigenen madig zu machen? Muss es wirklich tagein-tagaus dieses »jeder gegen jeden« sein? Haben wir nicht genug anderes, worum wir uns kümmern müssen?
Ein Mensch, der Wert auf sein Äußeres legt, ist nicht automatisch oberflächlich.
Ein Mensch, der weniger (oder anderen) Wert auf sein Äußeres legt, ist ja auch nicht automatisch tiefgründig und/oder charakterstark.
Jeder von uns kann schön finden, was er schön findet. Aber niemand wird schöner, indem er das »schön« des anderen herabsetzt.