Ich gestehe! *Autorin wirft die Hände in die Luft und bittet um Gnade*
Wenn ich eine neue Idee habe, schreibe ich einen sog. Post-it. Nein, das ist keine Notiz auf irgendeinem Zettel, den ich dann eh nur verbummeln würde. Das sind einfach Anfänge von Ideen, die ich habe und die dann im Status X so lange auf der Festplatte verbleiben, bis ich denke, dass sie nun endlich ein ganzes Projekt werden sollen. Der Umfang dieser Post-its reicht dabei von wenigen Sätzen (manchmal auch nur ein Klappentext) bis hin zu mehreren zehntausend Wörtern. Je nach Laune und Elan halt.
Und ich stöbere auch gern in diesen Post-its, die ich nun seit ca. zwanzig Jahren sammle. (Es sind inzwischen über siebzig, ich habe also noch Lesefutter für euch bis zur Rente und wahrscheinlich darüber hinaus.) Gestern bin ich dabei aus einer Laune heraus über einen gestoßen, bei dem ich fürchterlich lachen musste. (Ja, ich lache über meine eigenen Witze.) Ich schrieb spontan sogar einen Klappentext dazu und schickte ihn an einen meiner Lieblingskritiker: Ralph Edenhofer, Hüter der Science Fiction, Bezwinger der Dämonen und … Ja, tatsächlich ein Testleser für Romance. Ich hab das auch noch nicht so ganz verdaut. Aber es ist cool.
Er las ihn, fand ihn witzig. Ich schickte ihm den Post-it und er war … eindeutig konsterniert von der … äh … Leichtigkeit? Immerhin ist er von mir ja literweise Blut und einen Bodycount für jedes Buch gewohnt. Frau grinste und erklärte daraufhin: »Ja, fängt an wie ChickLit. Bis das Blut in Kübeln kommt. Keine Angst.«
Ich vermute ja, dass er mir das immer noch nicht glaubt und fürchtet, ich sattle um. Aber sei’s drum. Danach machte er allerdings noch was Besseres, weshalb ich auch eine halbe Stunde lang damit beschäftigt war, mir die Lachtränen aus dem Gesicht zu wischen.
Er schrieb die Eingangsszene um. In eine Männerversion.
Und das ist etwas, das ich euch definitiv nicht vorenthalten möchte.
Hier nun also meine Version:
»Er ist so ein Arsch!« Johannas Tonlage kam gefährlich nahe an ein Knurren heran, während sie sich durch Emmas Kleiderschrank wühlte. Emma hingegen blieb stoisch auf ihrem Bett sitzen und verfolgte die schleichende Zerstörung ihrer provisorischen Ordnung.
»Es war abzusehen, Jo«, murmelte sie gegen ihre Bierflasche, während sie aufmerksam dabei zusah, wie ihre beste Freundin ein Kleiderstück nach dem nächsten aus dem Schrank zerrte und misstrauisch beäugte, ehe sie es schließlich verwarf und auf einen inzwischen erstaunlich hohen Haufen in der Zimmerecke warf.
Falls Emma je hatte wissen wollen, wie ihre Freundin ihre Garderobe beurteilte, jetzt hatte sie die Antwort darauf.
»Warum?« Der konsternierte Gesichtsausdruck Jos sagte ihr mehr als deutlich, dass sie gerade auf dünnem Eis stand. Das ewige Streitthema zwischen ihnen war nicht mehr weit entfernt.
Emma könnte jetzt zwar lügen, drumherum drucksen und versuchen, das Unaufhaltsame zu verhindern, aber Jo kannte sie bereits seit der Grundschule.
Es war definitiv an der Zeit für eine neue Freundin. Diese hier wusste zu viel.
»Schau ihn dir doch mal an. Er weiß, dass er gut …«, begann sie, unterbrach sich jedoch, als Johanna wutschnaubend ein weiteres Kleid in die Ecke auf den Haufen donnerte und sie aufgebracht anfunkelte. Der Sekt, den sie zuvor getrunken hatte, hatte ihre Wangen gerötet, ihre Haare waren zerzaust, da sie zwischenzeitlich kopfüber im Kleiderschrank gesteckt hatte, und tatsächlich wirkte sie ein wenig wie eine aufgebrachte Walküre. Eine beschwipste aufgebrachte Walküre, überlegte Emma, während sie sich bereits auf die unvermeidbare Standpauke einstellte. Wie jedes Mal.
»Hör bitte endlich auf mit dem Scheiß, Em! Er hatte absolut kein Recht, so mit dir umzugehen. Ja, er ist attraktiv. Na und? Das bist du auch!«
Emma verkniff sich ein Seufzen, während sie sich dazu zwang, ihrer Freundin nicht in die Parade zu fahren.
Sie kannten sich bereits seit der Grundschule. Johanna war einfach parteiisch. So parteiisch, dass sie tatsächlich glaubte, was sie sagte, und Emma brachte es einfach nicht mehr über sich, ihre Freundin auf die vielen Defizite aufmerksam zu machen, die sie nun mal mitbrachte: groß, dick, unscheinbar. Ihre mausbraunen Haare hingen platt an ihr hinunter und ihr einziger Versuch, mal einen modischen Haarschnitt und Farbe hineinzubringen, endete mit lautem Gelächter eines ganzen Französisch-Kurses. Ihre Nase war zu spitz, ihr Gesicht zu breit, ihre Lippen zu voll und ihre Augen … Na, immerhin hatte sie nicht die Glubschaugen ihrer Mutter geerbt. Allerdings war sie auch nicht weit davon entfernt. Mit ein bisschen Schminke konnte sie diesen Umstand zwar halbwegs kaschieren, aber … sie räumte ein, dass sie zunehmend die Lust daran verlor.
Wozu auch? Um sich einen Mann zu angeln? Einen Mann wie Stefan, der sie erst einwickelte, um sie dann abzuservieren, als ihm so ein langbeiniges, modeldürres Wesen ins Visier geraten war?
Es war ja nicht so, dass ihr das zum ersten Mal passiert wäre. Eigentlich hatte bisher jedes ihrer Männerexperimente irgendwie so geendet. Mit Männern, die sie als schnelle Nummer betrachteten oder sie auf Abstand hielten, bis sie jemanden fanden, der ihnen mehr zusagte.
Sie war … ein Mittel zum Zweck für die Kerle. Große Liebe? Fehlanzeige. Und das in einem Alter, in dem dieses Thema überfällig war. Eigentlich hätte sie das schon längst gehabt haben müssen. Als Teenie, mit dem ganzen Herzschmerz und Drama, das die Pubertät eben so mit sich brachte. Aber außer einer lieblosen Defloration mit sechzehn und einer sinnlosen Abfolge von Männern, die sie der Reihe nach verarscht und sitzen gelassen hatten, hatte sie nichts aufzuweisen. Mit dreiundzwanzig. Ja, Begeisterung sah definitiv anders aus. Und es wurde auch nicht besser, wenn ihre beste Freundin spontan mit Bier – für Emma – und Sekt – für sich selbst – hier aufkreuzte, um, wie sie meinte, sie aus ihrem Schneckenhaus herauszuholen.
Emma wollte nicht undankbar sein. Es war eine liebe Geste ihrer Freundin. Ihrer langbeinigen, modeldünnen, blonden Freundin mit den tollen Locken und dem Hollywood-Gesicht. Johanna liebte sie. Wie eine Schwester, die sie leider – oder Gott sei Dank, wie man es eben sehen wollte – nie gehabt hatte. Und das bedeutete halt, dass sie sich an einem Freitagnachmittag, direkt nach der Uni in ihr Auto setzte, das ihre Eltern ihr geschenkt hatten, und mehrere hundert Kilometer zu ihr fuhr, nachdem sie erfahren hatte, dass Emma wieder mal von einem Typen verarscht worden war.
Zusammenhalt unter besten Freundinnen. Zu gern hätte Emma ihr das mal zurückgegeben, aber … in Johannas Leben lief alles so perfekt, dass es bisher nie eine Gelegenheit für sie gegeben hatte, mal für sie da zu sein. Selbst als sie sich vor einem halben Jahr von ihrem langjährigen Freund getrennt hatte, hatte es nichts gegeben, was Emma für sie hatte tun können. Die beiden waren in friedlichem Einvernehmen auseinandergegangen und verstanden sich auch heute noch bestens. Also, nicht diese vorgetäuschte Variante, sondern die richtige Version von Freunde bleiben. Emma beneidete Johanna um diese Gabe, aber sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als ihrer Freundin das zu erzählen.
Goldmarie und Pechmarie eben. Nur halt eben ohne die Selbstsucht. Oder … Hastig wischte sie den Gedanken beiseite, der seit einigen Monaten immer wieder in ihrem Kopf herumgeisterte. Um genau zu sein, seit ihre Eltern ihr besagte Selbstsucht vorgeworfen hatten. Bei der Testamentseröffnung ihrer Großmutter, die wenige Wochen zuvor verstorben war, und bei der dann ihren Eltern klar geworden war, dass es nahezu nichts zu erben gab.
(…)
»Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«
Emma blinzelte verwirrt, als die Stimme ihrer Freundin sie wieder zurück in die Gegenwart holte.
»Sorry«, nuschelte sie leise und unternahm gar nicht erst den Versuch, ihre Freundin vom Gegenteil zu überzeugen, »bist du mit dem Part, in dem du mir erklärst, dass ich eines Tages ein wunderschöner Schwan sein werde, schon durch?«
Das Kleid, das Johanna eben noch in Händen gehalten hatte, flog quer durch den Raum und landete mit voller Wucht in ihrem Gesicht.
»Du bist unmöglich, Em!« Doch trotz des Vorwurfs sah die Angesprochene das Funkeln im Auge ihrer Freundin. Johanna hatte eine Schwäche für ihre trockene Art, weshalb sie ihr solche Patzer auch immer wieder verzieh. Gott sei Dank, andernfalls hätte Johanna sie die vergangenen Jahre schon mehrfach erschossen.
»Und jetzt nimmst du das Kleid da, ziehst es an und machst dich hübsch«, befahl ihre Freundin und mit spitzen Fingern und hochgezogener Braue hob Emma besagten Fetzen Stoff hoch. Oha …
»Liebes, ich will dich ja jetzt nicht ärgern, aber … dir ist schon klar, dass das der Fummel ist, den wir vorletztes Jahr für die Bad-Taste-Party gekauft hatten?« Emma war sich durchaus bewusst, dass ihr Gesichtsausdruck irgendwo zwischen konsterniert und verstört hing, während sie auf das glitzernde Etwas in ihrer Hand hinunterguckte.
»Ja, das ist mir klar.« Erneut flogen irgendwelche Dinge in ihre Richtung und kurzfristig verspürte Emma den Anflug von Dankbarkeit, als sie eine blickdichte Strumpfhose und ihr Allzeitbereit-Jäckchen wiedererkannte. Da das gute Stück unter der Brust geknotet wurde, standen die Chancen gut, dass zumindest ein Teil des goldglitzernden Unfalls aus ihrem Kleiderschrank davon verdeckt wurde.
»Und diese Schuhe!« Johannas Tonfall duldete keinen Widerspruch, als sie auf die groben Boots zeigte, und Emma schloss die Augen, während sie ihr Bier runterstürzte, in der Hoffnung, ein wenig von scheißegal am Boden der Flasche zu finden. Dann schob sie sich langsam vom Bett und trottete Richtung Bad.
Eigentlich hatte sie einen ruhigen Netflix-Abend geplant gehabt. Mit einem riesigen Eisbecher, Schokolade, einer beginnenden Magenverstimmung und fest in ihre Kuscheldecke gewickelt, weil die Heizung mit Sicherheit nicht gegen die undichten Fenster ankam. Das war jedoch vor drei Stunden gewesen, bevor Johanna an ihrer Tür geklingelt und ihr erklärt hatte, dass sie raus musste, um den einen Scheißkerl mit einem anderen Scheißkerl zu verdrängen. Emmas Worte. Johanna hatte das etwas anders formuliert.
»Und wehe, du pfuschst beim Make-up, Madame! Ich weiß, dass du das kannst«, rief Johanna ihr noch nach und Emma rollte zwar mit den Augen, verkniff sich aber jeglichen Protest, während sie insgeheim ihre Freundin mit den Borg verglich: Widerstand ist zwecklos. Am Ende der Verkleidungsparty würde sie aussehen, wie Johanna sich das vorstellte, und sie würde den gesamten verfluchten Abend genau das tun, was Johanna von ihr wollte. Hoffentlich durfte sie trotzdem Bier trinken. Sie mochte keinen Sekt. Vor allem nicht dieses süße Zeug, das ihre Freundin ständig in sie zu schütten versuchte.
(…)
Und hier Ralphs Version:
Nachdem sie den dritten Horrorfilm in Folge angesehen hatten, fragte Fred: »Wat is eigentlich aus der Ische geworden?«
»Wech«, antwortete Hubert.
Fred sah ihn kurz an. »Ah.« Er erhob sich von dem mit Chipskrümeln bedeckten Sofa. »Auch noch’n Bier?«
»Jep.«
Als er mit zwei Stubbies aus der Küche zurückkehrte, fragte er: »Noch’n Film?«
»Nee«, brummte Hubert.
»Zappeln?«
Hubert überlegte. »Du fährst.«
— End of Story —
Was soll ich sagen? Wir haben das Geheimnis gelöst. Männer und Frauen sind doch von verschiedenen Planeten. *lacht schon wieder*
Und um euch auch noch zu beruhigen: Nein, es ist wirklich keine ChickLit. Und bis es erscheint, werdet ihr diesen Beitrag auch schon längst wieder vergessen haben. 😉
„verlassen!“
Ich meine hier nicht den Umstand, dass man sich auf etwas oder jemanden verlassen kann, einen guten Freund etwa, den man jederzeit anrufen kann. Auch um drei Uhr nachts und sei es nur, um nicht alleine zu sein. Der sich dann in sein Auto setzt, 300 Kilometer zu einem fährt und noch Bier und Sekt mitbringt. Ich spreche im Gegenteil von der Art, mit der auf Facebook unter der Überschrift „wer würde hier ein ganzes Wochenende verbringen?“, Bilder einer endlosen Hügellandschaft im Dämmerlicht beworben werden. In denen auf dem höchsten Berg ein, winzig kleines Häuschen abgebildet ist, welches so vollkommen abgelegen liegt, dass unwillkürlich die Frage auftaucht, wo zum Teufel man dort einen Klempner herbekommen soll? Oder einen Fernmeldetechniker? Oder Möbel? Die Vorstellung, wie sich zwei Möbelpacker mit einer Couch in den Armen den Berg hochschleppen finde ich besonders ulkig, bis mir wieder einfällt irgendwo gelesen zu haben, dass Amazon ja bald eine Anlieferung per Drohne anbieten soll. Aber ich komme vom Thema ab. Bleiben wir bei dem Foto, dem Haus und den Berg. Ich habe nämlich den Berg und das Haus und überhaupt die ganze verdammte Landschaft in mir drin. Also gefühlt. Ein überlebensgroßes Gefühl auf DIN-A-Null! Und warum? Nur weil jemand das Adjektiv unbedingt als Verb anwenden musste, darum! So. Nun wisst ihr, wovon ich spreche. Wollte ich nur mal gesagt haben. Ihr müsst mich jetzt aber entschuldigen, ich muss einen Bilderrahmen kaufen gehen. Wisst ihr zufällig, wo man die günstig in DIN-A-Null erwerben kann?
Also, ich hab da ein paar gute Angebote für derlei Bilderrahmen gefunden gerade. Das Internet ist nämlich auch etwas, worauf man sich verlassen kann! 😀
(Dafür schlägt sie mich jetzt bestimmt.)
*dir schon mal das Boot für die einsame Insel mit dem Hügel und der Hütte vor die Tür schieb
*ersetzt prompt Möbelpacker und Couch durch schiebende Sarah mit Boot (das Kopfkino wird immer besser 🙂 )